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Wie Lernen und persönliche Entwicklung gelingen

Was uns begeistert und welche Lernwege wir bevorzugen, ist kein Zufall; durch unsere Biostruktur und die damit verbundenen Grundmotive hat jeder Mensch klare Präferenzen, wie und auf welchem Weg er Probleme löst - wenn wir ihn lassen.

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Bild: fancycrave1 auf Pixabay

Dies ist Teil 7 der 10-teiligen Blog-Serie "Motivation ist machbar … aber anders als viele denken"

Warum tun wir uns häufig so schwer, Neues zu lernen?

Industrialisierung, Globalisierung und Digitalisierung – seit Jahren nehmen das Veränderungstempo und der damit verbundene Anpassungsdruck zu. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn der Aufruf zum lebenslangen Lernen heute zum Allgemeinplatz geworden ist.

Die gute Nachricht vorweg: Jeder Mensch ist bis ins hohe Alter lernfähig! Glaubte man vor einigen Jahren noch, dass es ab Anfang 20 nur noch bergab gehe, wenn es um den Wissenserwerb geht, zeigen heute die Neurowissenschaften, dass Menschen selbst mit 60 oder 70 Jahren noch messbar neue Zellen und Verknüpfungen bilden können, wenn sie etwas Neues erlernen. Aber warum tun wir uns häufig so schwer damit, Neues zu lernen? Weil wir viel zu oft davon ausgehen, dass das Lernen ein rein kognitiver Prozess ist und vor allem über Belehrung funktionieren würde.“

Da unser Erfahrungsschatz in den ersten Lebensjahren noch relativ übersichtlich ist, greifen Kinder auf eine bewährte Strategie zurück, um diese Lücke zu füllen: Nachahmung! Unser Autopilot bekommt durch einfaches Kopieren eine erste Blaupause für den Umgang mit der Welt.

Das Gute daran ist, dass wir dabei nicht die ganze Komplexität eines beobachteten Vorgangs verstehen müssen: „Tu das, was andere tun“ scheint eine gute Strategie zu sein, an der wir uns auch als Erwachsene noch orientieren. Was viele Menschen tun, kann aus Sicht unseres Autopiloten nicht verkehrt sein, deswegen besuchen wir in einer fremden Stadt lieber ein gut besuchtes Restaurant als ein komplett leeres.

Eine Variante dieser Regel lautet: „Tue das, was erfolgreiche Menschen tun.“ Auch hier unterstellt unser Autopilot, „dass erfolgreiche Menschen vieles richtig gemacht haben müssen; also scheint es eine gute Idee zu sein, deren Vorgehensweise zu kopieren. Deshalb orientieren wir uns beim Besuch eines Restaurants oft an den Empfehlungen eines Gastroführers oder an der Anzahl der Sterne.

Jetzt gibt es nur ein Problem. Diese beiden Regeln sind nicht stressfrei unter einen Hut zu bringen:

  • Folge ich der Regel „Tue das, was andere tun“, werde ich mich nach der Mehrheit richten und Extravaganzen eher ablehnen. Dafür bekomme ich Lob, Anerkennung und Bestätigung von den Personen in meinem sozialen Umfeld.
  • Folge ich der Regel „Tue das, was erfolgreiche Menschen tun“, gehe ich das Risiko ein, dass andere Menschen mich ablehnen, weil sie mich für überheblich oder einen Karrieristen halten.“

Welche dieser beiden Varianten wählen wir nun und warum? 

Meist orientieren wir uns an einer ganz einfachen Grundregel: Alles, was uns ein gutes Gefühl gibt, wird eher verstärkt. Alles, was uns dagegen Schmerzen verursacht, versuchen wir zu vermeiden.

Das leuchtet ein, das einfachste Beispiel dafür ist die heiße Herdplatte. Je intensiver ein Schmerz ist und je unerwarteter er uns trifft, desto stärker der Lerneffekt. Doch es sind nicht nur körperliche Schmerzen, die beim Lernen eine Rolle spielen. Weil sich unsere Gefühle ebenfalls körperlich auswirken, können „soziale Schmerzen“ ähnliche Wirkungen in unserem Gehirn hervorrufen wie körperliche Schmerzen; zum Teil werden diese beiden Arten von Schmerz sogar in den gleichen Gehirnregionen verarbeitet. Es ist daher überlebenswichtig, zwei Dinge unter einen Hut zu bekommen: Etwas zu tun, das einem etwas bedeutet, beziehungsweise einen begeistert und das außerdem eine positive Resonanz in unserem sozialen Umfeld hervorruft.

Es nützt nichts, wenn uns jemand nur erklärt, wie etwas geht. Einsicht alleine ist kein Lerntreiber. Was keine Gefühle in uns anspricht oder auslöst, wird von unserem Gehirn erst einmal als wenig relevant eingestuft. Solche Inhalte können wir zwar büffeln, um uns beispielsweise auf eine Klausur vorzubereiten. Aber sie schaffen es meistens nicht, auf Dauer in unserem Kopf zu bleiben. Viele Eltern, die ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen wollen, können das bestätigen. Obwohl sie den Stoff selbst einmal gelernt haben, ist vieles davon nicht mehr abrufbar oder kommt ihnen sogar völlig unbekannt vor.

Gefühle und Emotionen sind immer mit dabei: Der portugiesische Neurowissenschaftler António Damásio stellte die Theorie auf, dass alle Erfahrungen des Menschen im Laufe seines Aufwachsens in einem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert werden. Dieses Erfahrungsgedächtnis teilt sich laut Damásio über ein körperliches Signalsystem mit, das bei der Entscheidungsfindung hilft und das Damásio als somatische Marker beschreibt. Deshalb lernen Menschen am besten, wenn sie von dem zu lernenden Gegenstand begeistert sind: Nur wenn sachliche Informationen zusammen mit Gefühlen abgespeichert werden, werden sie dauerhaft in unserem Gedächtnis verankert. Über diesen Weg baut unser Gehirn nach und nach ein Set von Standardlösungsstrategien auf, die es immer wieder anwendet. Was uns begeistert und welche Lernwege wir bevorzugen, ist kein Zufall; durch unsere Biostruktur und die damit verbundenen Grundmotive hat jeder Mensch klare Präferenzen, wie und auf welchem Weg er das betreffende Problem löst. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  1. durch Intuition und Erfahrung; wir versuchen uns an ähnlichen, bereits erfolgreich eingesetzten Lösungen zu orientieren oder kennen jemanden, den wir fragen können (Grün-Komponente),
  2. durch Versuch und Irrtum; wir probieren einfach so lange aus, bis etwas funktioniert (Rot-Komponente) oder
  3. durch Analyse und Abstraktion; wir versuchen, die grundlegenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu verstehen, und leiten daraus eine Lösung ab (Blau-Komponente).

Natürlich sind diese drei Lern- beziehungsweise Lösungswege nicht scharf voneinander zu trennen, aber jeder hat hier seine persönliche Präferenz, welche Herangehensweise er bevorzugt. Jeder Mensch kann Neues lernen, aber eben nur auf seine individuelle Art und in seinem eigenen Tempo. Unsere Biostruktur gibt uns den Rahmen vor.

Was für uns individuell bedeutsam ist und wofür wir uns begeistern können, hängt also mit unseren Grundmotiven zusammen, die sich bereits in der Kindheit zeigen. Es ist kein Zufall, wie deutlich das Anschluss-, Macht- oder Leistungsmotiv bereits bei Kindern ausgeprägt ist – alle Eltern dürften wissen, wovon wir sprechen. Zweifeln Sie nicht an sich und Ihrer Qualität als Mutter oder Vater, falls Ihr Kind nicht so intensiv mit Ihnen kuscheln möchte, wie Sie es sich vielleicht wünschen; es hat wahrscheinlich ein geringer ausgeprägtes Anschlussmotiv. Wenn Ihr Kind sich nicht gegen andere wehrt (obwohl es dazu durchaus in der Lage wäre) und sich nicht durchsetzen kann, sondern eher kompromissbereit und nachgiebig ist, hat es wahrscheinlich ein geringer ausgeprägtes Machtmotiv. Und falls Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind in der Schule die nötige Neugierde und Ausdauer vermissen lässt, hat das Kind wahrscheinlich ein geringer ausgeprägtes Leistungsmotiv. Diese Grundmotive können wir uns nicht antrainieren; sie sind bereits bei jedem Menschen individuell (mehr oder weniger stark) genetisch disponiert. Was wir aber lernen können, ist, wie wir mit diesen Dispositionen umgehen und das Beste daraus machen.

Warum so eine differenzierende Betrachtung dringend notwendig ist, formulierte der US-amerikanische Psychologe William H. Sheldon bereits 1965, indem er als Beispiel einen introvertierten, reflektierten, eher rational gesteuerten Jungen beschrieb: „Man wird von einem als zerebrotonisch erkannten Knaben nicht verlangen, dass er sich wie ein sogenannter ‚typischer Junge‘ benimmt, der leidenschaftlich ‚Räuber und Soldat‘ spielt, ständig seinen Mut erprobt, indem er sich mit den anderen Jungens prügelt und allerlei gewagte Dinge tut – dass er sich intensiv für Sport interessiert (…) und immer, wenn man ihn fragt, laut und strahlend antwortet. Man wird seinen Möglichkeiten (und Gefahren) Rechnung tragen, wird ihm die für „ihn notwendige Einsamkeit und Privatheit belassen, die seine Natur zu ihrer besten Entwicklung braucht.“

Statt also beispielsweise das Verhalten unserer Kinder oder Kollegen nur an unseren eigenen Vorstellungen zu messen und zu bewerten, sollten wir viel öfter die Frage stellen, ob wir nicht stattdessen unsere Erwartungen anpassen müssten. Falsche Erwartungen führen zwangsläufig zur Enttäuschung und damit häufig zu Stress und Frust. Sheldon hatte diesen Zusammenhang so formuliert: „Wohl der größte Teil der Ungerechtigkeit im Miteinanderleben entsteht aus der falschen (uns aber immer wieder selbstverständlichen) Projizierung des eigenen Wesens in die Menschen unserer Umwelt. Sie in ihrem Eigensein zu begreifen – zu wissen, was man von ihnen erwarten darf, und was nicht, hebt eine Unzahl unbilliger Forderungen auf. Und wie damit viele Gereiztheiten verschwinden, viele Reibungsflächen im täglichen Miteinander beseitigt werden, vermindert sich mit der Einsicht in die Grenzen und Möglichkeiten des anderen Menschen, die ungewollte Tyrannei, ihn ‚nach seinem eigenen Bild‘ umgestalten zu wollen.“

Statt also alle über einen Kamm zu scheren, kommt es darauf an, bewusster zu entscheiden, was wir von einer Person aufgrund ihrer Biostruktur erwarten können – und was wir lieber nicht erwarten sollten.

Lesen Sie im nächsten Beitrag: 

Was wirkt besser: Die sanfte oder die harte Tour?

(Veröffentlichung: 21. Juli 2021)

 

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=> zurück zu Teil 1 "Wie werden Menschen so wie sie sind?", veröffentlicht am 2. Juni 2021

=> zurück zu Teil 2 "Der genetische Code der Persönlichkeit", veröffentlicht am 9. Juni 2021

=> zurück zu Teil 3 "Balance oder Burnout?", veröffentlicht am 16. Juni 2021

=> zurück zu Teil 4 "Was Menschen wirklich antreibt?", veröffentlicht am 23. Juni 2021

=> zurück zu Teil 5 "Go Great" veröffentlicht am 30. Juni 2021

=> zurück zu Teil 6 "Wir müssen nur wollen", veröffentlicht am 7. Juli 2021

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch: 
Ralf China, Juergen Schoemen „Sei du selbst, sonst geht’s dir dreckig - warum Erfolg nicht mit Patentrezepten, sondern nur individuell machbar ist.“