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Was wirkt besser: Die sanfte oder die harte Tour?

Schmerzvermeidung klingt zwar nicht so schön, ist aber häufig ein stärkerer Lernimpuls als die Belohnungserwartung … bringt aber ein großes Problem mit sich.

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Bild: Andrea Piacquadio von Pexels

Dies ist Teil 8 der 10-teiligen Blog-Serie "Motivation ist machbar … aber anders als viele denken"

Was nicht passt, wird passend gemacht

Beim Lernen verfährt unser Gehirn nach dem Prinzip „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Es scannt zuerst den vorhandenen Erfahrungsschatz und sucht nach passenden Erklärungs- oder Lösungsschablonen. Die daraus entstehende Tendenz, sich an bekannten Erklärungsmustern zu orientieren, wird „Confirmation Bias“ genannt. Wir suchen lieber nach einer Bestätigung für bereits vorhandene Muster, als dass wir diese infrage stellen. Deshalb ist die Suche nach einer Ergänzung der einfachere Lernweg, denn dadurch werden Erfahrungen abgerufen, an die das Neue andocken und so schneller einsortiert werden kann. Auf diese Weise werden messbare Verhaltensänderungen hervorgerufen, ohne dass wir unsere Einstellung verändern müssen, denn das neue Verhalten können wir widerspruchsfrei in bestehende Muster integrieren.

Die zwei westentlichen Lerntreiber

Sie sehen schon: Lernen ist ein sehr individueller Prozess. Deshalb führt der gleiche Lernimpuls auch nie bei allen Menschen zum gleichen Lernerfolg. Nur wenn es uns gelingt, Lernprozesse so zu gestalten, dass die individuellen Motive der unterschiedlichen Biostrukturen berücksichtigt werden, können wir maximalen Lernerfolg erreichen. Auch hier gilt: Viele Wege führen nach Rom, Sie müssen nur den für Sie passenden finden!

Wie bereits kurz angesprochen, wirken hier zwei wesentliche Lerntreiber:

  • die Aussicht auf Freude („Belohnungserwartung“) oder
  • die Angst vor Schmerz („Schmerzvermeidung“).

Auch wenn beide grundsätzlich funktionieren, führen sie doch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Manchmal ist Lernen ganz einfach und geschieht praktisch von alleine. 

Der Idealfall ist, dass wir eine Tätigkeit ausführen, die uns Spaß macht. Im Laufe der Zeit verbessern sich durch wiederholtes Tun unsere Fähigkeiten immer mehr. Typische Beispiele dafür sind Radfahren, Skateboarding, Computerspiele und praktisch jede Art von Hobby; also Tätigkeiten, die wir uns ohne Not aussuchen, einfach weil uns das Tun an sich Freude bereitet. In diesem Fall können wir uns praktisch gar nicht dagegen wehren, immer mehr zu lernen und besser zu werden.

Frustrierende Lernerlebnisse

Im krassen Gegensatz dazu stehen Lernerfahrungen, die viele Menschen in ihrer Schulzeit gemacht haben. Da ging das Lernen oft nicht so leicht von der Hand oder es gab auch mal frustrierende Lernerlebnisse, die so gar nicht zu dem eben beschriebenen Idealbild passten. Denn häufig mussten wir etwas lernen, das uns erst einmal wenig oder keinen Spaß gemacht hat. Wir hofften aber darauf, später eine Belohnung zu erhalten. Was uns jeweils als Belohnung erstrebenswert erschien, hängt wieder von unseren individuellen Grundmotiven ab. Die Klassiker für diesen Fall sind das Erlernen eines Musikinstruments oder einer Sprache. Auch das Büffeln für ein gutes Abitur, um den Numerus clausus für das Wunsch-Studienfach zu schaffen, fällt in diesen Bereich. Die Basis für diese Art Lernen ist das Wollen: Wir fühlen uns von einem Idealzustand angezogen und wissen, dass wir ihn nur erreichen, wenn wir uns vorher anstrengen.

Natürlich lassen sich diese beiden Bereiche nicht exakt voneinander trennen; schließlich gab es ja auch für die meisten von uns Schulfächer, die uns lagen, und andere, mit denen wir sehr viel mehr Mühe hatten. Ideal ist aber in beiden Fällen, wenn eine entsprechende Unterstützung durch das soziale Umfeld vorhanden ist. Denn dann entsteht eine Belohnungserwartung, die zu einer Hin-zu-Motivation führt. So wird unser Verhalten auf das Erreichen eines Zielzustandes ausgerichtet. Hier ist wichtig, dass die zu erlernende Fähigkeit an sich für uns erstrebenswert ist und die Belohnungserwartung darin besteht, zum Beispiel einmal richtig gut Klavier spielen zu können.

Schmerzvermeidung ist ein starker Lernimpuls

Schmerzvermeidung klingt zwar nicht so schön, ist aber häufig ein stärkerer Lernimpuls als die Belohnungserwartung. 

Schmerzen haben eine Alarmfunktion im Gehirn. Sie weisen darauf hin, dass uns Schaden droht, der unter Umständen unser Überleben gefährden könnte. Daher reagiert unser Gehirn äußerst sensibel auf jede Art von Schmerz. Schmerzen weisen uns darauf hin, dass etwas nicht in Ordnung ist. Schmerzen und Leid können sowohl auf körperliche Ursachen (heiße Herdplatte) als auch auf seelische (Verlust des Partners) zurückzuführen sein.

Die natürliche Reaktion in diesem Fall ist daher der Versuch, Schmerzen zu vermeiden, was zu einer Weg-von-Motivation führt. In diesem Fall wissen wir häufig ganz genau, was wir nicht wollen, was mit uns nicht zu machen ist oder was man nicht darf.

Es ist leicht einzusehen, dass es häufig zu Konflikten zwischen Belohnungserwartung und Schmerzvermeidung kommt. Der an sich gute und gegebenenfalls sogar lebensrettende Impuls der Schmerzvermeidung hat leider auch eine Schattenseite. Immer dann, wenn die eigenen Bedürfnisse nicht zu den Erwartungen des relevanten Umfelds passen, kommt es zu einem Konflikt zwischen dem Wunsch nach Entfaltung des eigenen Potenzials und dem Wunsch nach sozialer Bindung. In diesem Fall ist eine Hin-zu-Motivation vorhanden, die durch eine soziale Sanktion („Das darfst du nicht. Das haben wir noch nie so gemacht. Sie werden nicht fürs Denken bezahlt.“ und so weiter) unterdrückt wird.

Welche Rolle spielen individuelle Stärke und persönliche Grundmotive?

Das passiert ganz automatisch – Stichwort „Faustformeln und Heuristiken“ – durch unseren Autopiloten. In diesem Spannungsfeld wägt unser Autopilot die voraussichtliche Belohnung gegen die zu erwartenden Schmerzen ab. Das hat nichts mit einem mathematischen Kosten-Nutzen-Kalkül zu tun. Vielmehr spielt dabei die individuelle Stärke der verschiedenen persönlichen Grundmotive eine Rolle.“

Starke, unerwartete Schmerzen, seien es körperliche oder soziale, führen häufig zu einem Vermeidungsverhalten und wirken tendenziell eher auf unsere Motivation als die Belohnungserwartung. 

Deshalb lassen sich Menschen von schmerzhaften Erfahrungen unterschiedlich leicht entmutigen. Wenn bei uns die Schmerzvermeidung einen hohen Stellenwert hat, werden wir natürlich vorsichtiger an Dinge herangehen oder sogar ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten zeigen, als wenn für uns Leistung und Überlegenheit einen hohen Stellenwert haben.

Bloße Appelle haben keinen Einfluss auf die Veränderung der Lernbereitschaft

Aus diesem Grund ist es praktisch wirkungslos, wenn wir mit bloßen Appellen („Sie müssen doch verstehen, dass …“, „Es ist nun einmal unumgänglich, weil …“, „Wenn Sie weiter hier arbeiten möchten, verlangen wir …“) die Lern- und Veränderungsbereitschaft eines Menschen positiv beeinflussen wollen. Solche Appelle alleine funktionieren nicht! Durch das Kräfteverhältnis zwischen Pilot und Autopilot werden die somatischen Marker (Schmerzvermeidung, Belohnungserwartung) immer stärker wirken als Logik und Vernunft.

Lesen Sie im nächsten Beitrag: 

Belohnung und Bestrafung - Vorsicht vor Risiken und Neben-wirkungen!

(Veröffentlichung: 28. Juli 2021)

 

=> zurück zum Einführungs-Artikel "Motivation ist machbar, aber anders als viele denken", veröffentlicht am 26. Mai 2021

=> zurück zu Teil 1 "Wie werden Menschen so wie sie sind?", veröffentlicht am 2. Juni 2021

=> zurück zu Teil 2 "Der genetische Code der Persönlichkeit", veröffentlicht am 9. Juni 2021

=> zurück zu Teil 3 "Balance oder Burnout?", veröffentlicht am 16. Juni 2021

=> zurück zu Teil 4 "Was Menschen wirklich antreibt?", veröffentlicht am 23. Juni 2021

=> zurück zu Teil 5 "Go Great" veröffentlicht am 30. Juni 2021

=> zurück zu Teil 6 "Wir müssen nur wollen", veröffentlicht am 7. Juli 2021

=> zurück zu Teil 7 "Wie Lernen und persönliche Entwicklung gelingen", veröffentlicht am 14. Juli 2021

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch: 
Ralf China, Juergen Schoemen „Sei du selbst, sonst geht’s dir dreckig - warum Erfolg nicht mit Patentrezepten, sondern nur individuell machbar ist.“